Beitrag zum 100. Geburtstag von Georges Brassens

Wenn wir an französische Chansons denken, fallen uns vermutlich zunächst Édith Piaf (Je ne regrette riens), Gilbert Bécaud (Natalie)
oder Jacques Brel (Amsterdam) ein. Der eine oder andere mag vielleicht auch an Juliette Gréco (Le temps des cerises) denken.
Aber Georges Brassens und seine Lieder? Bei einer VHS-Veranstaltung über französische Chansons zeigte sich, dass seine Musik

heute nicht unbedingt nach jedermanns Geschmack ist. In Frankreich gilt Brassens aber als einer der größten Chansoniers seines Landes.
Und auch in Deutschland hat er Spuren hinterlassen.


Brassens Foto2 1966

Brassens wurde am 22. Oktober 1921 in Sète (Südfrankreich) geboren. Sein Geburtstag jährt sich in diesem Oktober zum
einhundertsten Mal. Er starb nur eine Woche nach seinem 60. Geburtstag. Deshalb jährt sich am 29. Oktober 2021 auch sein
Todestag zum vierzigsten Mal. Beides ist ein guter Anlass, an ihn zu erinnern.

1939, nach seiner Schulzeit und einem abgebrochenen Studium, verließ Brassens Sète und ging nach Paris. Dort schrieb und
veröffentlichte er seine ersten Gedichte. Im März 1943 wurde er als Zwangsarbeiter nach Basdorf (nördlich von Berlin) deportiert.
Von einem genehmigten Heimaturlaub kehrte er im darauf folgenden Jahr nicht nach Basdorf zurück, sondern tauche in
Frankreich unter. Für das Ehepaar, das ihm damals Unterschlupf gewährte hatte, schrieb er später das Lied
„Chanson pour l‘Auvergnat“. In diesem Lied bedankt er sich für die erhaltenen Holzscheite, die ihn gewärmt haben, für das Brot,
das ihn ernährt hat und für das ihm geschenkte Lächeln.

Nach dem Krieg schreib Brassens seine ersten Lieder. Die Leute, denen er sie anbot, waren der Meinung, dass er diese doch
am besten selbst vortragen sollte, und so kam es zu den ersten öffentlichen Auftritten. In den weiteren Jahren war Brassens
recht produktiv. Von 1952 bis 1976 veröffentlichte er 14 LPs. Nach jeder Neuveröffentlichung ging er meist auf eine größere
Konzerttournee.


Sowohl bei seinen Auftritten als auch bei seinen Plattenaufnahmen (und vielleicht auch in seiner sonstigen Lebensweise)
unterschied sich Brassens deutlich von vielen seiner französischen Kolleginnen und Kollegen. Er brauchte zur Unterstützung
kein großes Orchester, sondern begleitete sich selbst auf der Gitarre. Ein Kontrabass und hin und wieder eine weitere Gitarre
genügten ihm. Seine Texte waren ihm wichtig, eine zu aufwändige Begleitung sollte nicht davon ablenken.

Brassens Foto1 1964























Brassens setzt sich in seinen Liedern mit vielfältigen Themen auseinander. Er schreibt über Frauen und die Liebe, über Freundschaft und
den Tod, kritisiert aber auch die in der konservativen französischen Gesellschaft weit verbreitete Heuchelei und Selbstgerechtigkeit.
Politisch stand Brassens links. Bürgerliche Poesie ist deshalb nicht von ihm zu erwarten. Eher befasst er sich mit den kleinen Leuten und
mit jenen, die am Rand der Gesellschaft stehen.

Eine Zusammenstellung aller seiner Liedtexte ist bei der Édition du Seuil (Frankreich) als günstige Taschenbuchausgabe erhältlich.
Wer nicht über ausreichende Französischkenntnisse verfügt (wie ich), kann Kontakt mit dem Übersetzter (und Brassens-Interpreten!)
Ralf Tauchmann in Radebeul (bei Dresden) aufnehmen (https://brassens.ratau.de). Er hat zwei Bände mit Übersetzungen von zusammen
102 Brassens-Liedern herausgegeben („Der starke Tobak des Monsieur Brassens“ – 1. Die frühen Lieder bzw. 2. Ruhmesposaunen).
Dort stellt er den französischen Texten seine deutschen Übersetzungen gegenüber. Ein dritter Band soll noch erscheinen.

Es ist nicht leicht, die Brassens-Lieder mit ihren originalen Texten nachzusingen. Die Melodiezeilen haben oft viele Worte. Gelegentlich
zieht Brassens Silben zusammen, und fast jede Silbe bekommt eine eigene Note. Bei den langsameren Liedern mag das noch gehen,
bei den flotteren Stücken muss man die französischen Sprache schon sehr gut beherrschen.

Seine Begleitung auf der Gitarre erinnert beim ersten Zuhören zunächst an die eines Bänkelsängers. Wer allerdings versucht, seine Lieder
nachzuspielen, wird schnell das Probleme haben, die richtigen Begleitakkorde zu finden, denn mit den üblichen drei Standardgriffen kommt
man nicht weit. Brassens‘ Stil ist eher am Jazz orientiert.

Die deutsche Liedermacherszene ist in den 1960er und 1970er Jahren stark von Brassens beeinflusst worden. Walter Mossmann, Hein
und Oss Kröher und Wolf Biermann zählen ihn zu ihren wichtigen Vorbildern. Manche sehen beim frühen Reinhard Mey gewisse
Anlehunungen. Am deutlichsten ist der Einfluss vielleicht bei Dieter Süverkrüp und Franz-Josef Degenhardt zu erkennen. Degenhard
hatte 1986 auch eine LP mit eigenen Übersetzungen von Brassens-Liedern veröffentlicht.

Die Original-LPs von Brassens dürften heute kaum noch zu bekommen sein. Inzwischen gibt es aber mehrere Wiederveröffentlichungen
mit einer Auswahl seinen bekanntesten Lieder. In Frankreich sind mehrere Bücher zu Brassens erhältlich. Bei uns sind vergleichbare
Veröffentlichungen hingegen Mangelware, zumindest habe ich nichts gefunden.

Während meines diesjährigen Sommerurlaubs in Südwest-Frankreich war in einer Regionalzeitung ein Artikel über Brassens erschienen.
Im Kulturteil der gleichen Zeitung konnte ich auch lesen, dass sich eine kleine Gruppe von Musikanten zusammengetan hatte, die mit
Gitarre, Kontrabass, E-Piano, Akkordeon und Gesang in der näheren Umgebung Abende mit Brassens-Liedern gestalteten. In Deutschland
erinnert der Verein „Brassens in Basdorf e.V.“ mit seinen Angeboten an diesen berühmten Mann und seine unfreiwillige Zeit in Deutschland.
(http://www.brassens-in-basdorf.eu/)

Es wird interessant sein zu sehen, welches Echo das Jubiläum hier in Deutschland haben wird. Der Süddeutschen Zeitung,
der TAZ und der ZEIT würde ein ausführlicher Artikel sicherlich gut anstehen. Vielleicht gibt es auch im Rundfunkt die eine
oder andere Themensendung zu Brassens. Es gilt also, die Augen und Ohren offenzuhalten!


(Peter Wachner, 09/2021)

   
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